Kuchen, Kaffee & Entspannung: Es ist wieder mal Zeit für einen EarlyGame Schnack.
Eine meiner Ex-Freundinnen hatte eine Kommilitonin an der Fachhochschule, deren Namen ich leider vergessen habe, aber an deren Geschichte ich mich noch erinnere: Das Mädchen war damals 21 Jahre jung und hat das Asperger-Syndrom, was damals dazu führte, dass sie an ihrer Fachhochschule sozial nicht besonders gut integriert war. Sie war eine Einzelgängerin. Allerdings war sie eine Einzelgängerin die nicht einsam war. Wie das? Weil sie eine Reihe von Freunden online hatte: In der Welt der Videospiele hatte sie Freunde jeden Alters und beiderlei Geschlechter. Sie fühlte sich im ‘echten Leben’ nicht einsam, weil sie nicht einsam war.
Als ich das damals hörte, dachte ich natürlich: Das ist toll, dass sie einen sicheren Rückzugsort hat - einen Fluchtort. Aber dann begann ich darüber nachzudenken: Eine Flucht wovor? Wer bestimmt, dass diese ‘reale Welt’ diejenige ist, in der wir uns wohlfühlen müssen - dass alles andere eine Flucht ist. Was ist am Gaming denn nicht real? Es wird von realen Menschen mit Ressourcen aus dem realen Leben entwickelt und im realen Leben gespielt, wobei nur das Spiel selbst einen digitalen Raum einnimmt. Die Freunde, die man trifft, sind reale Menschen am anderen Ende einer Internetverbindung. Die Beleidigungen, die man online erhält, sind reale und schockierende Enthüllungen über Dinge, die man über die eigene, reale Familie nie wusste. Wer kann schon vorgeben, dass ich Gaming der "realen Welt" nicht vorziehen und mein Zuhause nennen darf? Dass eine Welt mehr Gültigkeit als die andere hat? Naja... Ich will ja nicht abschweifen. Das ist eine Kolumne, die eine niedrigere intellektuelle Sphäre besetzt. Ich möchte mich nicht auf eine philosophische Diskussion über real vs. unreal einlassen und dabei versehentlich Arehstoteles falsch buchstabieren und mich blamieren… also werde ich es dabei belassen.
Mein Punkt ist der: Das Mädchen fühlte sich in der Gamingwelt gut aufgehoben. Was ihr das ‘echte Leben’ erschwerte, hat hier keine Rolle gespielt. Das Asperger Syndrom hat hier keine Rolle gespielt.
Das ist keine Überraschung, denn Videospiele sind wohl eines der integrativsten und nicht-diskriminierendsten Formate, die wir haben: Es gibt eine bekannte Kampfspiel-Legende ohne Arme und Menschen in Rollstühlen auf der ganzen Welt spielen eine Vielzahl von online Games und ihr Körpergewicht ihr Aussehen, ihre Hautfarbe, ihre sexuelle Orientierung und was auch immer es sonst noch so gibt, spielt dabei keine Rolle. Was zählt, sind die Gaming Skills und wenn man sich doch online ein bisschen Hass einfängt, dann sind es meist übertriebene Wutausbrüche über den Mangel an besagten Skills, aber nicht über den Mangel an ‘echte-Welt-Qualitäten” die online ohnehin anonym bleiben. Wer mir das nicht glauben will, dem präsentiere ich den Esports Athleten des Jahres 2018:
SonicFox - ein 22-jähriger, schwarzer, schwuler, nichtbinärer, Furry.
Das ist das Schöne am Gaming: Es ist eine Welt, die auf den Schultern derjenigen ruht, die sich aus welchen Gründen auch immer lange Zeit als Minderheit gefühlt haben. Um diesen Punkt zu verdeutlichen, lasst mich eine Erinnerung wecken, von als ich 12 Jahre jung war und in der Mittagspause auf dem Schulhof von einem Mädchen konfrontiert wurde, in das ich verknallt war:
“Amidu, stimmt’s, dass du jeden Tag 12 Stunden Playstation zockst? ”
Danach gab es überall Kichern.
Spulen wir vor, und wer bin ich - wer ist irgendein Gamer - dass ich jetzt andere für irgendetwas ausgrenze? Diese neue Ära des Gamings und des Esport ist auf dem Rücken derer aufgebaut, die seit Generationen "anders" waren, deshalb heißt sie auch alle willkommen, die jetzt noch wegen ihrer Unterschiede anderswo geächtet sind.
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Ich habe lange überlegt, ob ich eine gewisse Story in meiner Kolumne erzählen soll oder nicht, aber ich glaube das ist aktuell der richtige Zeitpunkt.
Vor knapp 2 Jahren wurde ich vom Vater einer Freundin zum Essen eingeladen. Der Vater ist ein Schulleiter aus Kurdistan und war in München um seine Tochter zu besuchen, die schon seit sie 15 ist, alleine in Deutschland wohnt. Der Vater hat noch einen Sohn, der leidenschaftlicher Gamer ist. Anders als viele Eltern hatte der Vater damit allerdings nie ein Problem. Im Gegenteil: Er hat erkannt, dass diese Leidenschaft nutzbar ist und hat, statt es zu verbieten, das Zocken seines Sohnes gefördert, denn er sah darin den Nährboden für Qualitäten wie Fleiß, Eifer, Teamwork und Zusammenhalt -- Qualitäten die er als Pädagoge für sehr wertvoll hielt.
Dann, eines Tages, kam sein 16-jähriger Sohn in Tränen zu ihm:
“Mein bester Freund ist an Krebs gestorben.”
“Was!? Wer?”
“Justin aus Amerika.”
Von Justin aus Amerika hatte der Vater nie gehört, denn Justin aus Amerika war ein Gamer-Freund, den sein Sohn nur digital kannte.
Als der Vater also seinem trauernden Sohn zur Seite stand, kam er nicht drumherum die unglaubliche Natur dieser Trauer zu erkennen: Tränen eines kurdischen Jungen für seinen amerikanischen Freund.
Über Kontinente hinweg, über Religionen hinweg und über eine Geschichte von Vorurteilen und Konflikten hinweg, stand diese Freundschaft - die auf digitalen Videospielen aufbaute und mit realen Tränen und Herzschmerz endete.
Soviel zum Thema Videospiele sind nicht das ‘echte Leben’.
Also im Sinne der aktuellen Bewegungen und Forderungen für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit: Unabhängig von Hautfarbe, sexueller Orientierung, Religion, Status oder ethnischer Zugehörigkeit spielen wir alle dasselbe Spiel des Lebens, nur auf verschiedenen Levels. In Videospielen nennt man es ‘Carrying’, wenn man jemandem mit einem niedrigeren Level hilft und das Ziel dabei ist ein ‘good game’ - ein gutes Spiel für alle. Carrying… klingt sehr nach ‘Caring’, das englische Wort für Fürsorge, findet ihr nicht? Ich denke, hier gibt es eine Lektion zu lernen. Noch einmal: Wir sind alle zusammen in diesem Spiel des Lebens. Warum nicht ein gutes Spiel daraus machen?
GG.