Schaut mal, ich versteh’s ja: Videospiele sind manchmal ein bisschen zu gewalttätig. Das hat sich schon lange abgezeichnet: Mario hat im Grunde seit den 90ern eine Karriere aus Kopfstampfen gemacht – etwas, das sogar die UFC verbietet. Ich wusste spätestens dann als ich zum ersten Mal Zeuge wurde, wie Mario unschuldige Pinguine tötet, dass das Spiel ein ‘ab 18’ Rating verdient hätte.
Und was hat es überhaupt mit dem Pilzkonsum auf sich? Reicht es nicht aus, Gewalt zu fördern? Müssen wir den Drogenkonsum auch noch trivialisieren? Ich habe Requiem for a dream und Trainspotting gesehen – ich weiß, wie das endet, Mario.
- WEITERLESEN: Marios schockierender Brief an die Welt.
Die Köpfe-zerschmetternden Abenteuer des nervös-hüpfenden Klempners hatten uns alle schon so desensibilisiert, dass wir dann sogar angefangen haben, Tierkämpfe zu simulieren und es als ein Spiel für Kinder zu verkaufen – und nicht einfach nur irgendwelche Tierkämpfe, nein: Diese Tiere wurden gefangen, in unmenschlich kleinen Bällen gehalten und als Eigentum behandelt. Es ging sogar so weit, damit zu prahlen: Schnapp sie dir alle!
Als liebender Hundepapa wird mir bei dem Gedanken allein schon ganz übel.
Nach Pokémon hätten wir als Gesellschaft den Stecker ziehen müssen. Von da an war der Weg, unsere Kinder mit Videospielgewalt zu vergiften, schön gepflastert und reisefertig: Es kamen Spiele auf den Markt, die es nicht mal mehr für nötig hielten, gewalttätige Spiele mit einem netten und niedlichen Dressing zu versehen: Mortal Kombat, Doom, Diablo... sucht nicht weiter, wenn ihr euch eines Tages fragt, was die Menschheit falsch gemacht hat.
Aber ganz im Ernst, vor etwa zehn Jahren, als ich 20 Jahre alt war, gab es einen Moment, in dem mir die Gewalt in Videospielen tatsächlich selber mal ein bisschen unangenehm war: Eine Freundin meiner Mutter kam zu Besuch und brachte ihren 11-jährigen Sohn mit. Wie solche Elternbesuche halt nun mal so sind, musste ich den Jungen letztendlich unterhalten, während unsere Mütter sich betranken und in Erinnerungen schwelgten. Natürlich war dieser 11-Jährige von meiner PS3 und vor allem von GTA IV regelrecht hingerissen.
Er fragte mich, ob er spielen kann.
Nun war ich schon ein soziopathischer, Auto-stehlender, alles-verwüstender Teufelskerl, seit ich in einem Jahr – 1999, als ich 9 Jahre alt war – sowohl GTA 2 gezockt als auch Bad Boys geschaut habe. GTA 3 und GTA Vice City folgten und verwandelten mich schlussendlich in den kältesten Teenager, der durch die Straßen Münchens wanderte, und als ich mit GTA San Andreas fertig war, war mein G-Status certified.
Jetzt will also ein 11-Jähriger auf meiner PS3 GTA IV zocken? Kein Problem. Habe ich alles längst durchlebt – ich habe ihn natürlich spielen lassen.
Augenblicke später hatte ich endlich die Perspektive jeder Person erlangt, die jemals Videospiele beschuldigt hat, Killer zu schaffen: Dieser Junge sprang ins Spiel, schnappte sich einen Baseballschläger und fing an, durch die Straßen zu streifen, um ausschließlich alte Menschen zu verprügeln. Ausschließlich. Nun bin ich nicht sicher, ob er in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit älteren Autoritätspersonen gemacht hat, aber soweit ich weiß, war er nicht katholisch, also gab es keinen Grund das anzunehmen. Ich habe ganze 10 Minuten gebraucht, um dieser Teufelsbrut den Kontroller zu entreißen.
Bis dieser Coronavirus anfing, hatte ich nie zuvor gesehen, dass alte Menschen so ins Visier genommen wurden. Es war tatsächlich unangenehm diese digitale Gewalt mitanzusehen, und das kommt von mir, einem Spieler, dessen digitaler Body Count in den Straßen bekannt ist. Diese Erfahrung hat mich verändert. Würde ich dieses Kind in absehbarer Zeit wieder GTA spielen lassen? Nein. Ich verstehe also irgendwie schon, warum die Leute denken, dass Videospiele Kinder gewalttätig und zu Psychopathen und Killern machen. Ich verstehe das ein bisschen, aber ich verstehe vor allem folgendes ganz genau:
Gewalttätige Spiele, Filme, Comics... es ist alles dasselbe.
Die Kinder, die für das schreckliche Massaker in Columbine im Jahr 1999 verantwortlich waren, haben Doom gespielt und soweit ich weiß, war das was folgte der Höhepunkt der Videospiel-Verteufelung. Seitdem werden zu oft, wenn diese schrecklichen Katastrophen passieren, Videospiele als Verursacher von Gewalt betitelt.
Es sind Jahrzehnte vergangen, und das Label, dass Videospiele Gewalt verursachen, hat sich hartnäckig gehalten. Dabei sehe ich zu selten, dass die eigentliche Frage gestellt wird: Verursachen Videospiele Gewalt oder verursacht die menschliche Natur gewalttätige Videospiele? Fühlen wir uns als Menschheit nicht einfach zur Gewalt hingezogen? Stehen unsere größten Verehrungen nicht im Zusammenhang mit Gewalt? Niemand spricht über die Menschen an mittelalterlichen Höfen, nein, es sind die Ritter und Schlachten, an die wir uns erinnern. Wir erinnern uns an Herkules und seine 12 Aufgaben, von denen 11 mit Blutvergießen getan waren. Rom schätzte die Unterhaltung der Gladiatorenkämpfe so sehr, dass sie auch in Kriegszeiten weitergeführt wurden.
Boxen und MMA gehören zu den größten Sportarten der Moderne. Die NHL ist auf Faustkämpfe angewiesen, um ihre Beliebtheit zu erhalten und NFL Spieler ballern sich Schmerzmitteln, um die Tackles zu ertragen, die die Zuschauer sehen wollen. Sogar der Zoo zeigt als Highlight Löwen und Tiger beim Fleisch reißen und wir gehen ins Kino, um anzuschauen, wie Indiana Jones auf seinem Weg den heiligen Gral zu stehlen, ganz beiläufig Dutzende von Menschen tötet, die lediglich den falschen Arbeitgeber gewählt haben. Und, nicht zu vergessen – wieder einmal: Wir fangen arme Tiere in kleinen Bällen ein und bringen sie dazu, gegeneinander zu kämpfen und verstecken diese Scharade hinter niedlicher Grafik. Mir fehlen die Worte.
Gewalt im echten Leben ist etwas, das wir niemals akzeptieren sollten, aber wenn wir Filme schauen, Bücher lesen oder Videospiele zocken, konsumieren wir Gewalt, weil sie an unsere niederen Instinkte appelliert. Letzten Endes sind wir Säugetiere, und sogar Jungtiere und Welpen simulieren Kämpfe. Kämpfen ist genauso tief in unserer DNA verwurzelt wie Fortpflanzung und Ernährung. Es ist ein Überlebensinstinkt.
Jedes Mal, wenn wir jemanden in CS:GO oder Valorant eliminieren, haben wir gewonnen. Wir haben überlebt. Wir haben die Bedrohung ausgeschaltet und unser Gehirn belohnt das mit biochemischen Prozessen, die ich zu faul zu googlen bin – ich weiß nur, dass Dopamin darin involviert ist.
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Es ist nicht so, dass Videospiele der Ursprung von Gewalt sind, sie spiegeln vielmehr unsere tiefsten Sehnsüchte. Wenn wir jetzt kreativ werden wollen, könnten wir den Weg des ‘Shooters’ Splatoon gehen: Ein Zeichentrickspiel, das im Grunde ein taktischer Shooter ist, nur dass es Farbe statt Kugeln regnet. Eine tolle Idee, der ich applaudiere, aber würden wir Rambo in den Wäldern beim Paintball spielen zusehen? Ich bezweifle es, und bis wir das tun, wie wäre es, wenn wir damit aufhören Videospiele für schlechte Dinge verantwortlich zu machen und die Verantwortung dort verlangen, wo es zählt: Bildung, Gesetze und psychische Gesundheitsfürsorge.
Es ist nichts falsch daran, Gewalt als Ganzes zu bekämpfen, aber es hat keinen Sinn, ein Medium gesondert anzugreifen, nur weil es neu ist und von der Generation, die das Sagen hat, missverstanden wird.