Ist der Gaming Journalismus tot? Ist der Journalismus im Allgemeinen tot? Bin ich vielleicht gar kein Journalist? Ja, zugegeben das sind ziemlich dumme Fragen, aber sie werden gerade überall gestellt. Nicht nur in Videospielforen, sondern in allen möglichen Bereichen, ob Sportjournalismus, politischer Journalismus oder Gaming Journalismus es ist immer die gleiche Angst: Sterben wir aus?
Die einfache Antwort ist nein, der Journalismus ist nicht tot. Dementsprechend ist auch der Gaming Journalismus nicht tot. Er verändert sich aber, und zwar nicht zum Besseren.
Vor ein paar Monaten haben wir eine Kolumne mit dem Titel "Kommt mal alle runter vom Hype Train (und hört mit dem Vorbestellen auf...)" geschrieben und in diesem Artikel ging es auch darum, dass der Hype um Videospiele und die Videospielkultur ein kleines Problem darstellt, wenn es um einen der Grundpfeiler dessen geht, was Journalismus (zumindest traditionell) sein sollte. Dieser Grundpfeiler ist, dass der Journalismus Regierungen, Organisationen und Personen des öffentlichen Lebens, über die er berichtet, zur Verantwortung ziehen sollte. Der Hype Train fährt diesen Grundpfeiler aber immer wieder um – man schaue sich nur Cyberpunk 2077 an.
Meine Rolle als Gaming Journalist hier bei EarlyGame besteht nicht darin, die ganze Zeit über meine Lieblingsspiele zu schwafeln. Es geht nicht darum, zu sagen "Hey, das ist ein cooler Rocket League-Skin (Call of Duty in meinem Fall, Anmerkung des Übersetzers), den kaufe ich mir", sondern darum, zwei Dinge zu tun: darüber zu berichten, den Lesern wichtige Informationen zu geben und die Entwickler zur Verantwortung zu ziehen. Rocket League Season 3 war scheiße (die Bugs und Glitches in arzone auch), also werde ich es nicht anpreisen. Black Ops Cold War war ein schreckliches Spiel und hatte eine ziemlich rassistische Kampagne, also sollte man es nicht nur in den Himmel loben.
Es ist okay, positiv zu sein und sich zu freuen, aber man muss auch fair und ausgewogen berichten. Das Problem ist, dass Gaming Journalisten – egal für wen sie arbeiten – viel zu oft selbst gehyped sind und Spiele mit Lob überschütten, obwohl diese noch gar nicht veröffentlicht wurden. Das ist der Grund, warum man Spiele nicht vorbestellen sollte – die meisten Journalisten haben von diesen Spielen nämlich auch noch nicht mehr als Bilder und gestellte Videos gesehen. Das ist auch ein Zeichen für ein tieferes Problem des Gaming Journalismus und warum er sich zum Schlechten verändert. Es gibt zwei Hauptprobleme.
1. Gaming Journalisten konzentrieren sich zu sehr auf Leaks und Gerüchte.
Leaks, Leaks, Leaks, Leaks, Leaks. Es scheint, als wäre es manchmal das Einzige, worüber gesprochen wird – "das Veröffentlichungsdatum dieses Spiels wurde geleakt", "diese neue Map für Spiel X wurde geleakt", "könnte Person X der Synchronsprecher für Charakter X sein". Diese Art der Berichterstattung hindert uns daran den Hype Train unter Kontrolle zu halten. Wir wissen so gut wie nie, ob diese Fakten wahr sind, manchmal wurden sie nur von einem einzigen Leaker auf Twitter gepostet, einer Quelle, die selbst dem Journalisten unbekannt ist.
Es ist ein Armutszeugnis für unsere Zeit, dass der moderne Twitter-Leaker eine völlig unbekannte Entität ist, die uns vielleicht oder vielleicht auch nicht mit Informationen versorgt, die wahr, überprüfbar oder... einfach nur ausgedacht sind – und trotzdem veröffentlichen wir sie. Wenn man zu einem Redakteur einer großen Zeitung wie der New York Times gehen und sagen würden: "Hey, ich habe da brisante Infos über diesen Politiker, sie sind völlig unbestätigt, nicht überprüfbar und könnte komplett ausgedacht sein", dann würde der Redakteur sagen: "Sonst geht's dir schon noch gut? Zieh Leine!" (vermutlich würde er sich etwas gewählter ausdrücken).
Das Problem ist: Jeder macht es, also muss es jeder mitmachen. Und das bedeutet leider, dass diese Art des Journalismus so schnell auch nicht verschwinden wird in absehbarer Zeit nicht verschwinden wird.
2. Gaming Journalismus verliert an Relevanz, da Influencer die Führung übernehmen.
Influencer sind – leider, möchte ich hinzufügen – die Könige und Königinnen des modernen Gaming Journalismus geworden. Genauso wie Joe Rogan zu einem führenden Beispiel für eine neue Form des Interview-Journalismus geworden ist, sind Influencer nun die Personen, über die die meisten Spieler ihre Gaming-News erhalten. Das mag unterhaltsamer sein, aber es ist halt in der Regel auch nicht unbedingt seriös und hat nichts mit ursprünglichem Journalismus zu tun.
Der Gaming Journalismus ist nicht tot, er wird auch noch lange nicht sterben, aber er befindet sich auf einem absteigenden Ast. Tatsache ist, dass es ihn immer geben wird und in der Welt der Videospiele auch immer ein Platz dafür sein sollte. Wir müssen allerdings immer mehr darauf achten, von wem wir unsere Informationen bekommen und als Journalisten müssen wir darauf achten, wie wir diese Informationen präsentieren und ob die Quellen, die wir nutzen, legitim sind oder einfach nur ein Haufen erfundener... ich darf dieses Wort nicht benutzen!
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