Ja, Politik gehört in Videospiele!

Politics in video games spec ops last of us
The Last of Us 2 und Spec Ops: The Line sind perfekte Beispiele für politische Videospiele. | © Naughty Dog & 2K Games

Gleich vorne weg: Den Artikel hat eigentlich mein Kollege Evan geschrieben, wir sind aber gute Kumpels und ich sehe das ganz genauso wie er. Vielleicht hab ich hier und da auch noch ein wenig hinzugefügt, um dem Ganzen etwas Nachdruck zu verleihen. Aber genug davon... los geht's:

Ich bin müde. Müde von den immer gleichen bescheuerten und uninformierten Argumenten. Die ganze Zeit wird geschrien: "Politik hat in Videospielen nichts zu suchen!" Falsch! Politik gehört in Videospiele. Versuch ruhig mich umzustimmen, aber erst, nachdem du diesen Artikel fertig gelesen hast. Hör dir erstmal meine Argumente an, bevor du wieder anfängst rumzuheulen von wegen: "Es ist doch nur ein Spiel, lass mich mit Politik in Ruhe!"

Ich werde jetzt eine ziemlich kontroverse Aussage machen. Du weißt ja sicher, was die Spiele sind, die du gerne zockst und es besteht eine gute Chance, dass die alle irgendetwas mit Politik zu tun haben. Stehst du auf Call of Duty? CoD ist nichts weiter als amerikanische Propaganda (ganz ehrlich, sag was du willst, so ist es einfach). FIFA? Das ist doch nur Fußball, oder? Schon irgendwie, aber was glaubst du, wie entschieden wird, welche Teams, welche Stadien, Sponsoren und welcher Content enthalten ist? Klar, es drückt dir Politik nicht mitten ins Gesicht, aber es wird nun mal von Electronic Arts gepublished und ist somit geprägt von den Organisationen und Aktieninhabern (und der ihnen nahestehenden Politik), die FIFA sponsern (und EA selbst, natürlich).

Denk mal darüber nach: Die jüngsten Debatten darüber, wo das EM-Finale stattfinden sollte – London oder Budapest – wurden durch die Kontroverse über die jüngste Anti-LGBTQI+ Gesetzgebung in Ungarn überschattet. Wir sind hier auf einer Videospiel-Website, also werde ich nicht ins Detail gehen, aber glaubst du wirklich, dass FIFA völlig unabhängig von ähnlichem Druck ist? Was ist mit Mario? Klingt jetzt vielleicht etwas weit hergeholt, aber Super Mario ist ein ziemlich multikultureller Charakter... Eins steht also fest: Politik ist überall.

Das soll nicht heißen, dass das unbedingt dieselbe Art von Politik ist, über die oft in Reddit-Foren diskutiert wird. In der Regel von verängstigten Gamern, die sich an pseudo-intellektuellen Diskussionen darüber aufgeilen, wie Ellies Homosexualität The Last of Us: Part 2 absolut ruiniert hätte (meine Fresse, lest mal ein Buch und bildet euch weiter). Ja, viele Spiele werden nicht ganz so konkret – es ist eine andere Art von Politik – aber Politik spielt immer eine Rolle.

"Du weißt, welche Spiele du gerne zockst, oder? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie alle etwas mit Politik zu tun haben."

Vor ein paar Jahren habe ich zu einem Thema recherchiert, das ich als "Spiele für den sozialen Wandel" bezeichnet habe und während meiner Recherche (die, wohlgemerkt, ziemlich primitiv war) fand ich heraus, dass Videospiele für den gesellschaftlichen Wandel in der Tat einen Unterschied machen. Die entscheidende Frage ist also: Was für einen Unterschied? Der Unterschied ist, dass Videospiele als inhärent kreatives Medium die politischen Perspektiven, den Druck und den Kontext ihrer Umgebung zurzeit der Entwicklung kanalisieren und widerspiegeln. Videospiele werden, genau wie Musik, Filme, Fernsehen und Literatur, von der Welt um sie herum beeinflusst und üben so auch Einfluss auf ihre Umwelt aus.

Ja – das war für EarlyGame jetzt vielleicht etwas hoch, deshalb hier nochmal etwas runter gedampft. Also: Du findest The Last of Us: Part 2 ist zu belehrend? Ellie ist lesbisch, es ist Teil der Erzählung, es gibt ein paar Sexszenen, bla, bla, bla. Sorry, aber wo ist das bitte "belehrend"? Sie ist ein Charakter, sie ist eine Person in einem fiktiven Universum, sie ist die Heldin, sie ist der Spielercharakter. Das einzige Problem hier ist, dass du nicht als Lesbe spielen willst, oder?

Neil Druckmann, Naughty Dog und alle Beteiligten hatten eine Vision. Sie hatten eine Story, die sie erzählen wollten, mit Charakteren, die sie uns näher bringen wollten. Deshalb hier ein netter Hinweis und eine Frage für dich:

Hinweis: Du musst das Spiel nicht spielen.

Frage: Willst du wirklich, dass andere Leute dir vorschreiben können, welche Stories du erzählen darfst und welche nicht (mal angenommen du hast irgendetwas mit kreativem Arbeiten zu tun)?

Das Problem ist, dass einige Gamer einfach mal annehmen, dass Neil Druckmann und Co. uns über irgendeine Art bizarre und radikale politische Ideologie belehren wollen. Sie behaupten, dass die Entwickler dem Spieler eine Art Ideologie aufzwingen wollten, indem sie Ellie lesbisch machen. Klingt etwas weit hergeholt, oder? Wie schon gesagt, sie ist ein Charakter, sie ist zufällig die Hauptfigur, aber ihre "Homosexualität" ist nur ein Aspekt ihres Charakters. Daneben ist sie auch stark, sie ist eine Frau, sie ist traumatisiert, sie ist verzweifelt, sie ist heldenhaft, und manchmal ist sie auch ein bisschen rücksichtslos. Ellie ist ein voll entwickelter, ausgeprägter Charakter, kein "Mittel" für politische Propaganda.

"Der Unterschied ist, dass Videospiele als inhärent kreatives Medium die politischen Perspektiven, den Druck und den Kontext ihrer Umgebung kanalisieren und widerspiegeln."

Politik gehört in Videospiele, wie auch in alle anderen kreativen Medien. In den 1960er Jahren hatten Musiker wie Bob Dylan und Neil Young etwas zu sagen, also taten sie es durch ihre Kunst – genauso wie Bruce Springsteen, als er den kultigen Song "Born in the USA" veröffentlichte, den die meisten hier kennen dürften (für alle, die mit Englisch nix am Hut haben, Nena mit 99 Luftballons). Das waren alles keine Politik-Junkies, sie haben sich einfach nur selbst ausgedrückt und so einen Unterschied gemacht und durchaus Einfluss ausgeübt. Das soll nicht heißen, dass alles "einen Unterschied machen" muss, aber ein Spiel kann von Natur aus politisch sein, ohne dass es darauf abzielt, dir eine Ideologie aufzuzwingen. Also entspann dich mal, alles ist gut, niemand will dir eine Gehirnwäsche verpassen.

Klar kann sich jemand angegriffen fühlen, wenn er mit einer lesbischen Heldin spielen muss, während jemand anderes sich vielleicht angegriffen fühlt von der Kritik, die Spec Ops: The Line am amerikanischen Militarismus übt. Auf die gleiche Art und Weise ärgern andere Spieler sich über die "toxische Maskulinität", die in den meisten (wenn nicht sogar allen) Shootern zu sehen ist. Oder vielleicht über die Tatsache, dass Call of Duty in den letzten zwei Jahrzehnten "Araber", Deutsche, Russen, Vietnamesen und mehr zum bösen Erzfeind gemacht hat... Wenn wir anfangen zu sagen "Politik hat in Videospielen nichts zu suchen", dann wird es kaum noch Videospiele geben. Glaub mir, das ist so!

Vielleicht täusche ich mich ja auch, vielleicht ist da ein ruchloser Plan der Freimauerer im Gange. Vielleicht ist Neil Druckmann ein Echsenmensch und will uns irgendwelche konfusen Ideologien aufzwingen oder deine Babys essen... Vermutlich aber eher nicht. Was denkst du? Wenn du anderer Meinung bist, baller es gern in die Facebook-Kommentare, ich zerleg dich in jeder Diskussion.

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Originaltext von Evan Williams.

Lukas Ballat

Lukas hat Lehramt für Englisch und Geschichte studiert, bringt euch jetzt aber alles zu Call of Duty und Gaming bei und kümmert sich auch um Partner-Projekte und Kampagnen. Neben Shootern spielt er vor allem Souls-Likes, scheut aber auch nicht vor Diablo-Grind zurück....