Über die letzten Jahre haben jegliche Formen von Abhängigkeiten zugenommen, sowohl in Bezug auf Drogenmissbrauch als auch auf zwanghaftes Verhalten. Videospiele sind dabei keine Ausnahme. Hier gibt es eine bestimmte Art von Suchtverhalten: das Glücksspiel im Spiel.
Wer ein wenig mit Esports und der Gaming-Community vertraut ist, hat wahrscheinlich schon viel über Glücksspiel, Mikrotransaktionen, Lootboxen etc. gehört. Mehrere Länder, darunter Belgien und die Niederlande, haben bereits restriktive Regeln in Bezug auf das, was sie Glücksspielmechaniken nennen, eingeführt (z.B. das Verbieten von Lootboxen). In dem ganzen Tumult um diese Entscheidungen gingen aber auch einige wichtige Informationen unter, die viele Menschen vor dem finanziellen Ruin bewahren könnten.
Um der Glücksspielsucht in Videospielen auf den Grund zu gehen, müssen erst mal einige Gerüchte zerstreut werden. Erstens geht es bei der In-Game-Spielsucht nicht um Wetten. Das Wetten findet außerhalb des Spiels statt und läuft in der Regel über einen Buchmacher oder eine Wettplattform. Zweitens ist die Glücksspielsucht im Spiel keine Videospielsucht. Dies sind zwei verschiedene Arten von zwanghaftem Verhalten. Es gibt die Sucht nach dem Spielen von Videospielen, ohne Glücksspielsüchtig zu sein und umgekehrt. Diese beiden Formen der Sucht weisen einige gemeinsame Merkmale auf, unterscheiden sich aber letztlich in ihrem Antrieb.
Das Spiel als Konditionierungskammer
Die In-Game-Glücksspielsucht wird als psychische Abhängigkeit eingestuft. Das bedeutet, dass es im Gegensatz zu Alkohol- oder Drogenmissbrauch keine physische Substanz gibt, nach der sich der Körper sehnt. Das macht sie jedoch nicht weniger stark, im Gegenteil.
Sowohl der In-Game-Glücksspielsucht als auch der Sucht nach dem Spielen selbst liegt das Belohnungssystem zu Grunde. Damit ist die positive Stimulation gemeint, die unser Gehirn erhält, wenn wir für unsere Anstrengungen belohnt werden. Der Mensch ist damit nicht allein: Psychologen haben die Reaktion auf Belohnungen und Verhaltenskonditionierung bei verschiedenen Tieren untersucht. In der so genannten operanten Konditionierungskammer erhält ein Tier eine Belohnung für die Ausführung einer Aufgabe, z.B. für das Drücken eines Hebels. Bei den meisten Tests gibt es auch eine negative Verstärkung, eine Art Bestrafung, wenn die Aufgabe verzögert oder gar nicht ausgeführt wird:
Im wirklichen Leben werden unsere Bemühungen jedoch oft nicht sofort oder gar nicht belohnt. Trotz tage- und monatelanger harter Arbeit, kann es sein, dass man kurzfristig nur geringe Ergebnisse erzielt – sprich: die angestrebte Beförderung kann Lichtjahre entfernt erscheinen. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass sie nie eintreten wird. Bei Videospielen hingegen funktioniert das Belohnungssystem augenblicklich. Wenn man eine Aufgabe erfüllt, erhält man direkt eine Belohnung. Und nicht nur das: Spiele vermitteln einem oft auch das Gefühl ein großer Held zu sein. Und wer ist nicht gerne ein Held? Dieses Konzept ist nicht neu und wurde sowohl von Psychologen als auch von Spieledesignern untersucht. Die Spieledesignerin Jane McGonigal sprach 2010 in einem TED-Vortrag darüber:
Hübsch und günstig?
Wie kommt man aber von der Konditionierung auf den Spaß am Spielen zu einer ausgewachsenen In-Game-Glücksspielsucht? Mit Hilfe der bereits erwähnten Ratten fanden Wissenschaftler heraus, dass diese viel enthusiastischer reagierten, wenn ein zufälliges oder zeitweiliges Belohnungsmuster genutzt wurde, als wenn immer gleich und regelmäßig belohnt wurde. Das klingt vertraut, oder? Auch wir schätzen nette Überraschungen viel mehr als das Gute, das uns regelmäßig widerfährt.
Hier kommen die Lootboxen ins Spiel. Mikrotransaktionen und Lootboxen sind in den letzten fünf bis zehn Jahren geradezu durch die Decke gegangen. Sie sind zu einem der häufigsten und profitabelsten Mittel für Entwickler geworden, um am Spiel zu verdienen. Von kosmetischen Upgrades bis hin zu Erfahrungs-Boosts können diese alles enthalten. Das "Mikro" bei "Mikrotransaktionen" ergibt sich aus dem normalerweise minimalen Preis für diese Gegenstände.
Und so kriegen sie die Gamer dran:
- Man erhält die Belohnung fast augenblicklich. Ein eplusdie Dopaminspritze für das Gehirn.
- Belohnungen sind oft zufällig und je begehrter ein Gegenstand ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit ihn aus einer Box zu ziehen. Wird er aber gezogen, assoziiert der Verstand des Spielers dies sofort als "Gewinn" – eine Bestätigung dafür, dass man Glück hat. Dieses Gefühl treibt den Spieler dazu es immer wieder zu versuchen, in der Hoffnung auf noch mehr Glück. Wichtig zu verstehen ist hierbei, dass sich das Gehirn an Erfolgserlebnisse viel lebhafter als an die vielen erfolglosen Ziehungen erinnert. Klingelt da was? Ganz genau: so funktionieren Spielautomaten.
- Der Preis erscheint verkraftbar. Es ist einfacher, ein oder zwei Euro für einen glänzenden neuen Waffenskin oder einen Erfahrungs-Boost auszugeben, statt sechzig Euro für ein neues Kleidungsstück. Die vielen kleinen Ausgaben häufen sich aber unbemerkt an. Sogar Penny Arcade scherzte damals darüber:
Es kann gar nicht genug betont werden, wie erfolgreich diese Methode ist. Selbst einfache Spiele, die keinen Multiplayer oder Ähnliches haben, schlagen wahnsinnige Gewinn daraus. Die Store Intelligence-Plattform von Sensor Tower schätzt, dass die Spieler im Jahr 2018 unglaubliche 1,5 Milliarden Dollar weltweit in Mikrotransaktionen allein für King's Candy Crush ausgegeben haben. Das ist eine Menge Geld für das Rumschieben bunter Bonbons auf einem Bildschirm.
"Aber das würde ich nie tun!"
Für die meisten von uns klingt es absurd, dass Menschen Tausende von Dollar für einige Pixel in einem Spiel ausgeben. Man sollte hierbei aber nicht vernachlässigen, wie effektiv Glücksspielmechaniken sein können. Außerdem: Man selbst mag vielleicht nicht anfällig für solche Konditionierungen sein, viele andere sind es aber. Teenager und Kinder sind der lebende Beweis für schlechte Impulskontrolle – und gerade sie machen einen großen Prozentsatz der Videospieler aus. Und die Kombination von Glücksspielen mit Minderjährigen führt zu katastrophalen Ergebnissen. Aus diesem Grund haben mehrere Regierungen ihre Besorgnis geäußert und Altersbeschränkungen festgelegt oder Lootboxen in ihren Ländern ganz verboten.
Hier hört ihr wie Jack Blacks Sohn mehrere tausend Dollar ausgegeben hat:
Altersbeschränkungen allein werden denen, die bereits grundlegende Verhaltensprobleme haben, aber nicht helfen. Man stelle sich einen gerade geheilten Suchtkranken vor, dem beim Zocken mit günstigen In-Game-Käufen vor der Nase rumgewedelt wird. Oder eine Person mit einer Zwangsstörung, die nicht aufhören kann, bevor sie jeden einzelnen Skin in einem Spiel gesammelt hat. Diese Menschen werden ihr Leben und das Leben der Menschen um sie herum zerstören indem sie riesige Summen ausgeben, die sie vermutlich gar nicht haben.
In einigen Fällen sind Spiele sogar so gestaltet, dass sich der Spieler bestraft oder eingeschränkt fühlt, wenn er nicht für gewisse Vorteile zahlt.
Ein berühmtes Beispiel dafür ist Star Wars Battlefront II von EA, das mehr oder weniger der Auslöser für die Lootbox-Debatte war. Nach seinem Release löste es einen wahren Shitstorm aus, so dass EA kurzfristig sämtliche Mikrotransaktionen aus dem Spiel entfernte und überarbeitete. Kein Wunder also, dass dieses Spiel zu unseren größten Spiele-Enttäuschungen gehört.
Today, we turned off in-game purchases for #StarWarsBattlefrontII. The game is built on your input, and it will continue to evolve and grow. Read the full update: https://t.co/asGASaYXVp pic.twitter.com/vQSOmsWRgk
— EA Star Wars (@EAStarWars) November 17, 2017
Das war zwar eine gute PR-Maßnahme, hat aber auf lange Sicht nicht viel gebracht. Battlefront II war so konzipiert, dass man für Fortschritte und Freischaltungen sehr lange spielen musste. Lootboxen und Mikrotransaktionen waren hier nicht nur zum Spaß und für schöne Charakter-Skins da, sondern machten den Fortschritt erst möglich oder zumindest erträglich. Zu allem Überfluss bezeichnete die Vizepräsidentin für Rechts- und Regierungsangelegenheiten von EA, Kerry Hopkins, die Lootboxen als "Überraschungsspielmechanismen" – vermutlich, um vor einem Ausschuss des britischen Unterhauses das Gesicht zu wahren.
Licht am Ende des Tunnels
Aber zum Glück ist nicht alles dem Untergang geweiht. Um die In-Game-Glücksspielsucht zu bekämpfen versuchen inzwischen sowohl Spieleentwickler als auch Vertriebsplattformen zu helfen. Nach dem Fiasko mit Star Wars Battlefront II hat EA einen Großteil des Fortschrittsystems überarbeitet und so den Nachteil für nicht zahlende Spieler deutlich reduziert. Außerdem erstatten sowohl Apples App Store als auch Google Play In-App-Käufe, die von Minderjährigen ohne Zustimmung des Karteninhabers getätigt wurden zurück.
Andere gehen sogar noch weiter: Grinding Gear Games, der Entwickler von Path of Exile, reagierte sehr positiv auf eine Spielerin, die mit ihrer Spielsucht kämpft und deaktivierten ihr In-Game-Käufe als sie danach fragte.
Am wichtigsten aber ist es, ein Bewusstsein zu entwickeln. Das Bewusstsein, wie die Glücksspielsucht funktioniert, wen sie betrifft und wie sie sich einwickeln kann. Mikrotransaktionen und Lootbox-Mechaniken sind zwar äußerst profitabel, können in einer Welt des schnellen Nervenkitzels aber auch eine verlockende Zuflucht sein – und wir als Spieler und Menschen sollten wissen, wie wir damit umgehen.